Erberschleichung soll nachfolgend den tatsächlichen Vorgang beschreiben, der gesellschaftlich das sog. Erbschleichen bezeichnet. Aus unserer beruflichen Praxis heraus haben wir als Verfasser dieses Buches, das als Hilfestellung für alle Betroffenen dienen soll, Folgendes festgestellt:
Erberschleichung ist inzwischen zu einem weit verbreiteten Phänomen in Deutschland geworden!
Findet man hierüber immer wieder Berichte in den Medien, so fehlt es doch aus juristischer Sicht an einer wissenschaftlichen Aufarbeitung des gesamten Komplexes. Ebenso sind Entscheidungen der Gerichte sehr spärlich gesät, da die Erberschleichung häufig einen nahezu rechtsfreien Raum, eine Grauzone betrifft.
Umso wichtiger ist es, dass Sie als Leser bei der Fortentwicklung dieses Buches mithelfen, indem Sie uns Ihnen bekannte Fälle schildern. Diese können wir einbauen und bewerten, sodass die verschiedenen Nuancen der Erberschleichung zukünftig noch besser erfasst werden können. Denn gegenwärtig befinden wir uns erst am Anfang einer gesellschaftlichen und juristischen Diskussion über dieses sich immer weiter verstärkende Phänomen.
So stellt sich schon anfangs die schwierige Frage, was überhaupt als Erberschleichung bezeichnet werden darf. In der Literatur wird darunter häufig nur das Bemühen um ein Erbe mit widerrechtlichen oder gegen die guten Sitten verstoßenden Mitteln verstanden. Das heißt als Schlussfolgerung hieraus, dass eine solche Erberschleichung mit zivilrechtlichen Mitteln (die Verträge sind beispielsweise gemäß §§ 134, 138 BGB unwirksam) oder strafrechtlicher Handhabe (gegen den Erberschleichenden kann Strafanzeige erstattet werden) bekämpft werden kann. Nach Ansicht der Verfasser greift diese Definition der Erberschleichung allerdings zu kurz, da es neben diesen vermeintlich rechtlich klaren Fällen eine Vielzahl von Situationen gibt, die sich in einer Grauzone abspielen, die rechtlich kein eindeutiges Ergebnis zulässt.
Wahrscheinlich kennen auch Sie einen Fall der Erberschleichung in Ihrem Familien-, Freundes- oder Bekanntenkreis!
In der Regel sind in einem solchen Kontext immer mindestens drei Seiten zu berücksichtigen, deren Interessen häufig gegenläufig sind und die deshalb den Sachverhalt auch aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Für ein Gericht ist es daher äußerst schwierig, den wahren Sachverhalt zu ermitteln, zumal der Erblasser häufig verstorben ist, sodass er nicht mehr direkt zu den Vorgängen befragt werden kann.
Der Erblasser (im weiterem wird aus Gründen der Übersichtlichkeit bei allen genannten Personen die maskuline Form verwendet), dessen Testiermöglichkeiten über Art.14 GG grundgesetzlich geschützt sind, steht im Vordergrund. Er darf, soweit mit Blick auf die Testierfähigkeit und die erbrechtliche Gesetzeslage möglich, bis zur letzten Minute sein Vermögen an denjenigen weitergeben, den er als Erben einsetzen möchte. Die Testierfähigkeit ist insoweit mit dem grundgesetzlich geschützten Eigentumsrecht verbunden und genießt im Erbrecht einen sehr hohen Stellenwert.
Das folgt schon aus der gesellschaftlichen Bedeutung des Erbrechts und der Testierfreiheit des Erblassers. Bereits der griechische Philosoph Platon hat die Bedeutung des Erbrechts und der Testierfreiheit letztlich dadurch bestätigt, indem er den Wunsch des Menschen nach Unsterblichkeit erkannt hat. Für Platon erlangt ein Mensch dann ein Stück Unsterblichkeit, wenn er einen Nachkommen in die Welt setzt. Auch die Vermögensübertragung an zurückbleibende Personen ist Ausdruck dieser Vorstellung. Doch tatsächlich ist es so, dass nur ein geringer Prozentsatz der späteren Erblasser tatsächlich (wirksam) testiert. Viele Fälle werden über die gesetzliche Erbfolge geregelt.
Das deutsche Erbrecht gibt Ihnen als gesetzlichem Erben aber keinen Rechtsanspruch auf das Erbe!
Insbesondere diese gesetzlichen Erben haben deshalb kein Anrecht, also keine Anwartschaft auf den Nachlass. Ihr Erbrecht darf man prosaisch als sog. nackte Hoffnung bezeichnen. Insoweit sind die nächsten Angehörigen durch das deutsche Pflichtteilsrecht der §§ 2303 ff. BGB, das einen Ausgleich zwischen dem grundgesetzlich geschützten Erblasserwissen und dem familiären Näheverhältnis sucht, nach Auffassung des deutschen Gesetzgebers ausreichend geschützt.
Die Rechtsprechung versucht dieses Pflichtteilsrecht auch so weit wie möglich zu schützen, da es sich um einen sog. Mindestschutz handelt. Das Pflichtteilsrecht wird häufig auch als heilige Kuh des deutschen Erbrechts bezeichnet.
Dabei darf nicht vergessen werden, dass viele Kritiker des Pflichtteilsrechts eine stärkere Berücksichtigung des Erblasserwillens fordern, was im Falle der Erberschleichung zum Nachteil der gesetzlichen Erben und zu einer noch stärkeren Benachteiligung der Pflichtteilsberechtigten führen würde. Denn häufig versucht gerade der Erberschleichende die gesetzlichen Erben mit Hilfe eines Testaments zu übergehen. Diese werden im Mindestmaß durch das Pflichtteilsrecht geschützt. Fällt dieses weg, so erlangt der Erberschleichende einen noch größeren Teil am Nachlass. Besonders drastische Fälle der Erberschleichung liegen allerdings vor, wenn die Verwandten keinen Pflichtteilsanspruch habe und dann auf Null gesetzt werden. Häufige Fälle sind die Angehörigen, bei denen eine Tanze oder ein Onkel das Opfer der Erberschleichung ist.
Neben dem Erblasser und den gesetzlichen Erben bzw. Angehörigen tritt dann jeweils eine dritte Person auf den Plan, die häufig ein besonderes Näheverhältnis zu dem Erblasser hat oder dieses entwickelt. Erberschleichung zeichnet sich häufig dadurch aus, dass dieses Näheverhältnis erst zu einem späten Zeitpunkt entsteht, zu dem der Erblasser gesundheitlich angeschlagen und damit leicht beeinflussbar erscheint. Das ist aber nicht immer so.
Ein Erberschleichender kann Ihnen in letzter Minute noch das vermeintliche Erbe wegnehmen!
Als Drittpersonen kommen nicht nur einzelne Angehörige, Partner, Freunde und Bekannte in Betracht, sondern auch solche Personen, die geschäftsmäßig mit dem Erblasser in Kontakt treten. Häufig haben sie entweder in die finanzielle Situation des Betroffenen Einblick (als Bankmitarbeiter, Steuerberater oder Rechtsanwälte) oder sie weisen einen anderen persönlichen Bezug auf (beispielsweise als Mitarbeiter von Pflegeeinrichtungen, Seelsorger, Ärzte, Gärtner oder Betreuer). Die Verfasser möchten an dieser Stelle klarstellen, dass keine der angesprochenen Gruppen typischerweise als Erberschleichende in Erscheinung tritt. Einzelfälle in der Praxis bestätigen aber, dass Berufsträger in diesem Bereich Erberschleichung betrieben haben und betreiben.
Dass sich diese Erberschleichung immer in einem Widerstreit der dargestellten drei Sichtweisen bewegt und deshalb oft schwer einzuordnen ist, belegt nachfolgendes rechtsgeschichtliche Beispiel, das zugleich zeigt, dass Erberschleichung kein neuzeitliches Phänomen ist. Vielmehr gibt es diese Situation überall dort, wo Erbrecht gesetzlich geregelt ist und dem Betroffenen eine Testiermöglichkeit einräumt. Dann wird es auch immer Menschen geben, die versuchen, sich hieraus Vorteile zu verschaffen.
Entscheidend ist, dass der echte Wille des Erblassers an höchster Stelle stehen soll bei einer Erberschleichung dieser Wille aber verletzt wird!
Ob das in zulässiger Art und Weise geschieht, lässt sich vor allem aus zwei Blickwinkeln beurteilen: einmal mit rechtlichem Augenmerk auf zivilrechtliche und strafrechtliche Regelungen und einmal mit Blick auf den Erblasserwillen, der aus Sicht der Verfasser für die Beurteilung der Erberschleichung maßgeblicher Ausgangspunkt sein muss. Die Begünstigung eines Dritten kann Erberschleichung sein, muss es aber nicht. Es kommt immer darauf an, was dahintersteckt und ob die Begünstigung dem Willen des Betroffenen entspricht. Das zeigt folgende Konstellation.
Im Mittelalter kam es häufig vor bzw. war es üblich, dass ein Erblasser seine Güter ganz oder zum Teil der Kirche oder einem Kloster überließ. Praxisrelevant war vor allem die Übereignung von Grundvermögen. Die Übertragung des Vermögens aus Gründen des Seelenheils setzte sich gegen den Widerstand der Angehörigen bzw. gesetzlichen Erben oftmals durch. Als eigentlicher Empfänger galt damals der himmlische Schutzpatron der Kirche selbst. Indem eine Erdscholle oder die Schenkungsurkunde auf den Altar, der die Reliquien des jeweiligen Heiligen barg, gelegt wurde, konnte insbesondere das zu übertragende Grundstück (das war der Vermögensgegenstand, um den es im Regelfall ging) sozusagen körperlich übergeben werden.
Urkundlich erwähnt ist dabei der Fall des einfallsreichen, mittelalterlichen Freisinger Bischofs Hitto, der solche Situationen dadurch begünstigte, dass er die Reliquien des Heiligen in einen kleinen transportablen Schrein legte und diesen stets mit sich führte. Damit konnte die Übergabe geschenkter Grundstücke gleich an Ort und Stelle, so beispielsweise auf dem Sterbebett, erfolgen.
Erberschleichung erfolgte und erfolgt häufig durch Personen, von denen man es eigentlich nicht erwartet!
Die Angehörigen und gesetzlichen Erben werden gegen ein solches Vorgehen häufig eingewandt haben, dass der Erblasser im Angesicht des Todes und mit Blick auf sein Seelenheil durch die Kirche zu einer Grundstücksübertragung geradezu gedrängt wurde.
Der einbezogene Seelsorger konnte sich dagegen darauf zurückziehen, dass die Vermögensübertragung dem freien Willen des Betroffenen entsprach und er das auch artikuliert hätte. Damit bleibt eine Beurteilung des Sachverhalts wieder auf den Willen des Erblassers beschränkt.
Wurde dieser zur Übertragung seines Vermögens mittels Drohung oder Täuschung genötigt oder bewusst in eine Angstsituation gebracht, wird der neutrale Betrachter eher an eine Situation der Erberschleichung denken. Liegt der Fall aber so, dass der Erblasser seelsorgerisch gepflegt und betreut wurde und sich aus eigener Eingebung zu der Übertragung entschloss, so wird wohl diesem Erblasserwillen der Vorrang eingeräumt werden dürfen.